
Im laufenden Jahr habe ich ja u.a. Paris besucht, um mir den Freimaurergarten Monceau anzuschauen. Jetzt musste ich aber feststellen, dass sich ein solches Kleinod quasi im eigenen Wohnumfeld befindet, und so machte ich mich auf den Hinüberschen Garten in Marienwerder zu entdecken.
Er wurde von Anton v. Hinüber nach einer Englandreise 1767, die ihm wohl als Inspiration diente, als „ornamented farm“ konzipiert.
Beim Hinüberschen Garten handelte es sich also um einen kunstvoll gestalteter Park, der landwirtschaftlich genutzte Areale integrierte. Vieles ist leider nicht mehr erhalten, doch nach einer umfangreichen Restauration in den Jahren 1998 – 2000 lässt sich die Intention und Wirkung des ursprünglichen Gartens zumindest erahnen.
Der Garten weist eine klassische Dreistufigkeit auf, bestehend aus dem Vergnügungsareal („pleasure ground“), gleich am ehemaligen Wohngebäude gelegen, den gestaltetetem Landschaftsgarten und einen dritten Teil, der die Öffnung des Gartens in die Landschaft vollzieht.
Als Freimaurer-Garten ist die Anlage durch den Druidenaltar, drei Gedenkurnen, die allerdings nicht mehr am ursprünglichen Standort stehen, und eine Turmruine (der sogenannte „Hexenturm“) erkennbar. Nicht mehr vorhanden sind der chinesische Pavillon und die chinesische Brücke, die Einsiedelei, der künstliche Friedhof, die Statue des Pans, der Gedenkstein und die freimaurerischen Sinnsprüche.
Der wirklich gelungene Hörspaziergang begleitet, so man denn ein Smartphone oder eine ähnliche technische Errungenschaft zur Verfügung hat, die Park-Besichtigung und lässt einen den Weg einer freimaurerischen Initiation gedanklich und visuell nachvollziehen. So erfahre ich beispielsweise, dass die rauen Steine des Druidenaltars für die menschliche Unvollkommenheit stehen. Rechtwinklig muss er vom Freimaurer-Lehrling mit dem Spitzhammer behauen werden, sodass sich sein so bearbeitetes und vervollkommendes Selbst in die menschliche Gesellschaft (den „Tempel der Humanität“) einreihen kann.
Im Meistergrad soll sich der Mensch seiner Endlichkeit bewusst werden, was im Garten durch die Einsiedelei und vielfältige Todeshinweise verdeutlicht wird.
Auch der rechteckige Turm, der sogenannte Hexenturm, der sich auf einer Düne des Gartens befindet, soll auf die Vergänglichkeit des menschlichen Seins hinweisen, weswegen er auch als Ruine konzipiert ist. Gestürzte Säulen sind im Turm eingebaut, die vielleicht – vermute ich mal – die Aufforderung an den Freimaurer enthalten, trotz des eigenen unabwendbaren Todes am Wiederaufbau des Salomonischen Tempels mitzuwirken, also die Säulen der Weisheit, Schönheit und Stärke wieder aufzurichten und so Teil einer größeren Utopie zu sein, die das Ewige im Diesseits manifestiert.
Die Freimaurerei sieht sich selbst als „lichtvoll“ an und so erinnert der Obelisk auf dem Glockenturm nicht nur an den ägyptischen Sonnengott Ra, der das Leben auf der Erde ermöglicht, sondern stellt auch eine architektonische Verbindung zwischen Erde und Himmel, zwischen Mensch und göttlichen Baumeister dar. Um allerdings zu den Obelisken auf dem Glockenturm aufzusteigen, muss der Initiant sich des Dualismus von Licht und Schatten bewusst werden und diese Aspekte, die auch Teil seines Selbst sind, zu einer vollkommenen Synthese vereinigen.
Ich selbst erreichte den Obelisken in tiefster Dunkelheit, was daran liegen könnte
-, dass die von Anton v. Hinüber forcierte Sichtachse zwischen Haus, Obelisk und Turmruine nicht mehr existiert, womit ich sagen will, dass das Gelände zugewachsen ist.
-, dass der Obelisk aktuell leider außerhalb des eigentlichen Gartengeländes liegt und deswegen – trotz toller neuer Beschilderung – irgendwie „vergessen“ wirkt, was – wenn man denn die freimaurerische Lesart des Gartens beachtet, ganz und gar das forcierte Ideal kontrapunktiert.
-, dass – ich verlasse jetzt die profane Ebene – , vielleicht nicht das Licht, sondern die Dunkelheit die wahre initiatorische Erkenntnis enthält.
Wer sich selbst darüber Gedanken machen möchte, wie denn die eigene Sicht der Dinge lautet, oder wer gar den Lichteinfall beim Obelisken in den frühen Morgenstunden erwarten möchte, um so Erleuchtung zu erfahren, dem sei ein Besuch des Gartens empfohlen.
Informationen finden sich u.a. in der Broschüre von Hartmut v. Hinüber/Peter Krüger/Siegfried Schildmacher: Der Hinübersche Garten in Hannover-Marienwerder. Eine freimaurerische Gartenlage. Hrsg. von der Freimauerloge „Friedrich zum weißen Pferd“. Hannover 2011.