19. Mai 2024

Der Freischütz und die faustische Seele

Vielleicht liegt es am schlechten Frühlingswetter, dass ich mein Bett überhaupt nicht mehr verlassen möchte. Endlich keine Sonne mehr, die einen dazu auffordert, das wohlige Bett zu verlassen, um durch eine optisch aufdringliche Blütenpracht zu spazieren. Endlich, trübes Wetter, dass mich meine Zeit, umgeben von Tabletts, Ebook-Readern, richtigen Büchern, krümeligen Kuchen und Bier, im Bett genießen lässt.

Ich mache es wie die Könige.
Ich regiere mein Reich vom Bett aus.

“Legendär war das Bett von Alexander dem Großen. Es hatte einen goldenen Baldachin und stand in einem Zelt mit 50 goldenen Pfosten. Auf diesem Prunkbett fläzend, pflegte er Besprechungen mit seinen Heerführern zu halten. Die Römer machten das Bett endgültig zum Lebensmittelpunkt, indem sie auf pompösen Speiseliegen, verziert mit Intarsien aus Gold, Silber und Schildpatt, schlemmten und schlummerten.

Frankreichs Könige präsentierten sich vom 14. Jahrhundert an bei offiziellen Anlässen im  “lit de justice”, , einem Thron in Bettform. Das “Bett der Gerechtigkeit” sollte die souveräne Haltung des Oberhauptes betonen, das seine Staatsgeschäfte lässig aus Kissen heraus tätigen kann. Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV nannte 413 Schlafstätten sein Eigen, davon 155 überdimensionierte Exemplare. Viel Bett bedeutete viel Potenz.” (Prüfer, Tillmann: Eine Bettgeschichte, gefunden am 21.04 auf www.zeit.de)

Unterbrochen habe ich meine 14tägige Regentschaft mit allerlei Kultur- und Natur-Ausflügen, von denen ich euch hier mehr oder weniger berichtet habe. Bisher nicht erwähnt habe ich meinem Besuch der Oper im benachbarten  Hildesheim.

Hildesheim hat nur ein Theaterhaus; Hannover dagegen besitzt eine eigene Oper, war aber, bei der letzten Inszenierung, die ich dort besuchte, so pädagogisch-schmuddelig, dass ich es fortan vermieden hatte, dieses Haus erneut zu betreten. Bei der Aufführung des “Freischützes” hatte sich nämlich der Regisseur Kay Vogel am Begriff der “Nationaloper” abgearbeitet, was in der Praxis dann zu einem erbärmlichen Konglomerat von Penis-Symbolen, Pegida-“Nazis” (bzw. das, was der Regisseur dafür hält) und Schießereien im Rotlicht-Milieu verkam. Diesen in Szene gesetzten Irrsinn hielt ich nur bis zur Pause durch. Dann verließ ich fluchtartig das Opernhaus.

In Hildesheim wird nun erneut der “Freischütz” aufgeführt und ich nutzte die Chance,  die traumatischen Bilder der hannoverschen Inszenierung durch neue und bessere zu überschreiben. Glücklicherweise verschonte mich der Regisseur Dominik Wilgenbus mit politisch  aktuellen Bezügen, stattdessen überlässt er es den Zuschauern, im Zeichenhaften der Sage, als die er den “Freischütz” versteht, Bezüge zum eigenen Leben, was ja immer auch Nöte beinhaltet, zu ziehen. Dabei lehnt er sich an das Puppenspiel an und überzeichnet die Akteure mit bunten Trachtengewändern ins Grotesk-Komische-Klamaukhafte. Vor diesem so harmlos wirkenden Bühnenraum plagen den jungen Jäger Max  die bekannten Versagensängste, die er durch das Gießen von teuflischen Freikugeln beheben wird. Er versucht so, auf einer äußerlichen Ebene, Abhilfe für sein Problem zu schaffen. Im Programmheft lese ich, dass er auf diese Art und Weise den Weg des Guten, der den Menschen auf sich selbst zurückwirft und Kräfte in seinem Innern mobilisiert, scheut. Der Regisseur sagt dazu: ” Max ist dem Faust verwandt, verkörpert aber als nicht gelehrter Mann eine andere Dimension des dämonischen Menschen. Er sucht das Böse nicht, er lässt es zu. Er beschließt den Teufelspakt und räumt so den dämonischen Mächten Gewalt über sich ein.” (S. 5)

Diesen Gedankengang halte ich für bemerkenswert, berührt er nämlich die Frage, ob das wirklich Böse nicht gerade dort verankert ist, wo Menschen unbewusst alles mitmachen, ohne selbst Verantwortung zu übernehmen. In einer Reihe von Artikeln habe ich mich mit diesem Thema, auch aus einer persönlichen Betroffenheit heraus, auseinandergesetzt und bin – vereinfacht gesagt – zum Schluss gekommen, dass das Böse im Kollektiv verwurzelt ist und dass die Menschen vorrangig dafür anfällig werden, wenn sie meinen, im Auftrag des vermeintlich Guten zu handeln (siehe auch hier).

Deshalb sehe ich in meiner modernen Interpretation, die vermutlich keineswegs mit der Wirkungsabsicht von Carl Maria von Weber übereinstimmt und in der ich die moralisch intendierten Rollen von Kasper und Agathe außerhalb meiner Betrachtung lasse, in den Kräften des teuflischen Samiels das Prinzip der Rebellion gegen die eingefahrene dörfliche Gemeinschaft verwirklicht. Dieses Kollektiv lässt zu, dass der junge Mann ein Probeschießen erfolgreich bestehen muss, um Agathe ehelichen zu dürfen. Max erhebt sich darüber und versucht, das schäbige Spiel, das da mit seinem Glück getrieben wird, durch die Nutzung von Freikugeln auszutricksen. Insofern kehrt sich, innerhalb meiner Interpretation, der Gut-Böse-Dualismus um. Zum Schluss wird er insofern erfolgreich sein, als dass der Eremit, der eine Allegorie auf Gott zu sein scheint, das Probeschießen abschafft.

Mit dem Regisseur stimme ich darin überein, dass es Parallelen zwischen Max und Faust gibt. Max ist jedoch  weitaus schwächer angelegt als Faust, was daran liegen mag, dass er kein Gelehrter ist und sich von Kasper verführen lässt, wohingegen Faust dem Pakt mit Mephistoles bewusst eingeht und danach trachtet, die Welt nach seinen Wünschen zu kreieren und so sein eigenes Königreich zu erschaffen.

Ach, ich habe meines schon gefunden!

Für alle Opernfreude, geht es hier zum Hildesheimer Freischütz.

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