19. Mai 2024

Gedanken zum Heimat-Begriff

Im Folgenden  ein Ausschnitt aus meinem Buch Lasst uns böse sein! Marinas Lesehilfe zum Till Eulenspiegel)

Was ist das  – Heimat?

Zuerst einmal ist es der Ort, an dem wir leben. Doch dieser Ort kann auch eine Wartehalle sein oder ein Durchgangslager: „Ich lebe hier, aber ich wohne hier nicht“, habe ich in einer Radioreportage die Bewohnerin eines Kölner „Brennpunkt“viertels sagen hören.

Wie fühlt es sich an – Heimat?

Heimat braucht Sicherheit, Verlässlichkeit und Vertrauen. Wenn dies fehlt, dann ist es keine Heimat.

Heimat, das ist die Erinnerung an Lebenszeit, die wir an diesem einen Ort verbracht haben. Heimat, das ist oft mit Kindheit verbunden, obwohl es sicherlich auch möglich ist, in späteren Lebensphasen ein Heimatgefühl für bestimmte Orte zu entwickeln, was sich mit dem Adjektiv „heimisch“ adäquat ausdrücken lässt.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Heimat mit Spießigkeit in Verbindung gebracht wurde, mittlerweile ist Heimat wieder salonfähig geworden – wahrscheinlich weil die Heimat  in einer globalisierten Welt so ungemütlich geworden ist und letztendlich Gefahr läuft, verlustig zu gehen. Meine Zukunftsprognose: Entweder „dezentralisieren“ wir wieder, da wir sowieso, was zu hoffen ist, „arbeitslos“ im herkömmlichen (sic!) Sinne sind oder die Städte werden mehr und mehr in die Höhe anstatt in die Fläche gebaut, um Landschaft zu erhalten (siehe Venusprojekt) Heutzutage, wo die Urbanisierung vermutlich ihren „Peak Point“ überschritten hat, einfach deshalb, weil sie auf eine Definition von „Arbeit“ aufgebaut ist, die anhand der wirtschaftlichen Entwicklungen überholt zu sein scheint, hängen wir, indem wir Zeitschriften wie „Landlust“ lesen, einem Heimatgefühl hinterher, das ganz und gar in unserer Phantasie geboren ist und das sich genauso von der Abgrenzung von der unbehausten Realität nährt wie es gleichzeitig von ökonomischen Geschäftsinteressen gesteuert wird.

Es ist das Perfide am Heimatbewusstsein, dass man ein Gefühl dafür am ehesten entwickelt, wenn man von ihr, der Heimat, weit entfernt ist. Insofern erstaunt es auch nicht wirklich, dass unser Heimat-Begriff erst in der Romantik entstanden ist, die ja – was eben nicht zufällig ist – als literarisch-künstlerische Epoche zeitliche Überschneidun-gen mit der einsetzenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert aufweist, der Ära also, in der die verarmte Landbevölkerung in die neuen Ballungsräume strebte.

Erste Fabriken entstanden und große Teile der bäuerlichen Bevölkerung lösten sich aus ihren althergebrachten Lebenszusammenhängen, um ihr Glück in den neu entstehenden Ballungsräumen zu suchen.

Unterstützt wurde diese Landflucht durch eine Bevölkerungsexplosion, die schon im 18. Jahrhundert begonnen hatte und die letztendlich die Arbeits“kräfte“ zur Verfügung stellte, die die Industrialisierung für ihr Wachstum benötigte.

In den Städten entstand, um hier einmal den marxistischen Sprachgebrauch zu bemühen, eine reiche bourgeoise Oberschicht, demgegenüber ein städtisches Proletariat stand, das zum größten Teil unter erbärmlichen Bedingungen dahinvegetierte. Insofern ist die Annahme, dass die Arbeiter der Frühzeit der Industrialisierung ihrer verlorenen agrarisch geprägten Welt hinterher trauerten, nachvollziehbar, wenn auch nicht beweisbar.

Dieses angenommene Gefühl des Verlustes stellt wiederum den Nährboden für die neu entstandene „Heimatliteratur“ des Bildungsbürgertums dar, die eine Gegenwelt zu den industriellen „Moloch“-Städten aufzeigt. Nachdem die Idealisierung des Landlebens in der Heimatliteratur auch von der nationalsozialistischen „Blut und Boden“- Ideologie aufgenommen wurde, begegnet uns nach 1945 die Überhöhung des Landlebens in Heimat-Heftchen und vor allem in Fernsehspielen wieder. Gleichzeitig nimmt der angloamerikanische Einfluss zu, beispielsweise durch die Verfilmung von Fantasy-Literatur, die uns beispielsweise im „Herrn der Ringe“ eine überschaubare Hobbit-Welt präsentiert, die allerdings von Außen bedroht wird.

Und langsam, fast unmerklich, vollzieht sich in unserem Bewusstsein eine fast unumstößliche Verknüpfung des Heimat-Begriffes mit einer friedlichen Landidylle.

Beim Hören des Begriffes „Heimat“ entstehen bei uns Assoziationsketten vom niedlichen Landleben. Keine U-Bahnstationen mit gehetzten Menschen prägen das Bild, stattdessen sehen wir innere Bilder von Störchen auf reetgedeckten Hausdächern vor uns, und der Duft von Blaubeerkuchen, der im Kreis der Freunde im idyllischen Bauerngarten gegessen wird, durchzieht unsere Imagination.

Eine solche Romantisierung des Landlebens, die sicherlich nicht viel mit der Realität gemein hat, muss aber nicht „verkehrt“ oder „schlecht“ sein (um hier einmal „Begrifflichkeiten“ der moralischen Wertung zu nutzen). Schließlich kann ja gerade die „Überhöhung“ des Landlebens das Potential für eine zukunftsweisende Utopie aufzeigen. Vielleicht verleiten uns unsere Träume sogar zu mutigen Aktionen, um das Fantasierte in der Zukunft zu realisieren.

Bis es soweit ist, machen wir uns erst einmal auf, ein neues Heimatbewusstsein zu entwickeln.

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