19. Mai 2024

Zweimal Morandi!

Letztens lese ich von einer Provinz-Posse in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, in der ein Gastwirt ein Kunstwerk gestohlen haben soll, was ihm, so seine Aussage, aber als Schrott angeboten wurde. Das Kunstwerk ist mittlerweile verschwunden, was den Verdacht nahelegt, dass er es schon anderweitig verkauft haben könnte. Muss aber nicht sein; ich kenne den Fall nicht und die Presse berichtet – wie fast immer in Hannover – “schwammig”.

Schaut hier: //www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Verschwundenes-Kunstwerk-in-Hannover

Obwohl die reißerische Facebook-Überschrift “Wo ist das teure Kunstwerk aus dem HCC geblieben?”, was mich zum Anklicken des Beitrages animierte, ja eine nĂ€here ErlĂ€uterung der gestellten Frage suggeriert, erfahre ich im Artikel zwar einiges ĂŒber dem rechtmĂ€ĂŸigen oder unrechtmĂ€ĂŸigen Erwerb des Kunstwerkes durch den Gastwirt, nichts aber ĂŒber dessen Verbleib. Jetzt weiß ich immer noch nicht, ob der Gastwirt es weiter verĂ€ußert hat, versteckt hĂ€lt oder ob es nicht doch im “Schrott” gelandet ist? Ich erfahre nur, dass das Kulturamt auch nichts weiß.

Immerhin war nun meine Neugier geweckt, sodass ich mich auf die Suche nach dem vermissten Kunstwerkes im Netz machte. Schließlich hatte ich in der Vergangenheit ja schon hĂ€ufig das Kongresszentrum im Hannover besucht, erinnerte mich aber nicht an das vermisste Kunstwerk. Die schnelle und unvollstĂ€ndige Suchanfrage brachte mich dann nicht zum Wikipedia-Eintrag von Marcello Morandi, dessen Grundlage seiner Arbeit die BeschĂ€ftigung mit geometrischen Strukturen sein soll, die er durch Bewegung und VerĂ€nderung in neue Formen ĂŒberfĂŒhrt (kinetische Kunst also!), sondern erst einmal zu Giorgio Morandi, der Google Autokorrektur sei Dank, und dessen Kunst sprach dann etwas in meinem Innern an, was mich zur weiteren Recherche animierte.

So kann es gehen!

Schon Giorgio Morandis Biografie faszinierte mich.  Doch warum? Genau wie ich war er als Lehrer tĂ€tig. Er unterhielt ein Wohnzimmeratelier, was ich auch tue, schließlich wird mein Wohnzimmer wahlweise als Atelier, BĂŒro, Schlafplatz, Entspannungs- und Lesezone und Besuchsraum genutzt. Nur die drei Schwestern fehlen mir, die mich umsorgen. Das ist das Privileg des mĂ€nnlichen Geschlechtes: immer bemuttert und umsorgt zu werden! Herrn Morandi wird es gefreut haben. Und dass er so gut wie nie seinen Heimatort verlassen hat, ist mir irgendwie auch sympathisch. Dieses oberflĂ€chliche Bereisen von Orten, was meist ja doch nur eine Aneinanderreihung von Postkartenansichten gleicht, ist mir zutiefst zuwider und Menschen, die mich mit ihren Reiseerlebnissen quĂ€len und die dabei nicht den kleinsten Ansatz  davon zeigen, tiefere Entdeckungen gemacht haben zu wollen, langweilen mich – zutiefst.

Soweit die  vordergrĂŒndigen Gemeinsamkeiten. Giorgio Morandi wollte – laut Wikipedia –  keine Botschaft in seiner Kunst vermitteln, weder eine politische, noch eine weltanschauliche. Und – auf diese Weise – ist er mir voraus. Ich sehe den kĂŒnstlerischen Schaffensprozess eher hermeneutisch, als einen Dialog also, den ich  mit dem Numinosen fĂŒhre und der dann wiederum etwas Neues und noch nie Gewesenes  erzeugt. Leider  verfolge ich  anschließend – im GesprĂ€ch ĂŒber das Kunstwerk – noch allzu oft diese pĂ€dagogische Unart, meine Mitmenschen auf die vermeintlich “richtige” Spur bringen zu wollen. Das ist wahrlich eine schlechte Angewohnheit, die ich wohl ablegen und  stattdessen ganz der Ästhetik huldigen sollte!

Genau dies hat Giorgio Morandi getan, indem er sich ganz der Form und der Farbe hingegeben hat. Dadurch hat er in seinen Bildern das Raum-Zeit-Kontinuum durchstoßen, und es ist dabei zu Verschiebungen gekommen, die wahrscheinlich fĂŒr ihn selbst spĂŒrbar waren, ĂŒber dessen Erfahrung er aber nicht mit seinen Mitmenschen kommuniziert haben soll.  Er wollte ĂŒber den Gegenstand “hinaussehen”. Sein Werkzeug dabei war die bildnerische Darstellung und diese Zeugnisse seiner Entdeckungen stehen auch uns heute noch zur VerfĂŒgung. Jeder Betrachter kann seine Bilder als TĂŒr und Tor ansehen, um das Übersinnliche zu erkennen, genauso wie es Giorgio Morandi  einst getan hat.

VordergrĂŒndig mache ich beim Erschaffen meiner eigenen Bilder genau das Gegenteil von ihm. Bei mir gibt es viel zu sehen und dabei keinen Fixpunkt. Die Formen ĂŒberlappen sich und öffnen dadurch bestĂ€ndig neue RĂ€ume. Ich maximiere das Chaos und die Sehebenen ĂŒberlagern sich. Manchmal bin ich garselbst darĂŒber erstaunt, was sich im kreativen Prozess aus der unbewussten Ebene plötzlich bildnerisch materialisieren will.

Beim Betrachten meiner Bilder sehnt man sich nach der Ruhe,  nach einem Punkt der Stille, der einen erlaubt, die eigene Bewusstseinsebene auszuweiten und sich mit dem zu verbinden können, was wir, jenseits unseres Körpers sind.

Giorgio Morandi dagegen hat den Ruhepunkt unmittelbar ins Bild gesetzt.  Statt  “Wanderungen”  hat er den Stillstand favorisiert und hat dennoch in seinen Stillleben  genau das Numinose gesucht und gefunden, was mich selbst auch zu vielfĂ€ltigen realen und virtuellen Wanderungen antreibt.

Diese Gemeinsamkeit in der Andersartigkeit hat mich wohl an seiner Kunst fasziniert, bevor ich dies ĂŒberhaupt in Worte fassen konnte. Jede Bewegung braucht  die Stille, aus der sie schöpfen kann und jede Bewegung fĂŒhrt wieder, wenn wir sie denn maximieren, zurĂŒck in die Stille. Ins Stillleben.

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